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Die Kraft des Humors

Lily Bretts Eltern sind ein Wunder. Sie haben Auschwitz überlebt und einander nach dem Krieg wiedergefunden. In ihrem autobiografischen Roman Einfach so erzählt die Autorin von dieser Liebe und vom komplexen Leben als Tochter polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender. Ein Leben, das an vielen Stellen ein unerwartet Köstliches ist.

Eine Rezension von Jeanne Wellnitz

Über Lily Brett zu schreiben, heißt, über den Tod zu schreiben. Oder über Sex, New York, das Alter und Verdauung. Würde man die Heldinnen aus den vielen Romanen, Gedichten, Kurzgeschichten und Kolumnen der amerikanischen Autorin zu einer Person verschmelzen, ja, dann wäre das vermutlich Lily Bretts Alter Ego, eine Komposition einiger ihrer Charakterzüge, die sie ihren Figuren leiht. Dieses Alter Ego können wir uns zart und gedankenreich vorstellen, eine Person, die direkte und unerwartete Dinge sagt. Eine Person, die Schmerz, aber auch eine vergnügliche Komik in sich trägt und viele Fragen hat.

 

Lily Brett wurde 1946 in einem bayerischen Lager für Displaced Persons geboren. Sie erblickte das Licht der Welt in einem Moment, als ihre Eltern in den dunklen Abgrund ihrer Vergangenheit sahen. Verstummt und allein. Moniek und Rooshka Breitstein waren jüdisch-polnische Holocaust-Überlebende, die kurz vor Kriegsausbruch im Ghetto von Lodz geheiratet hatten. Dann wurden sie nach Auschwitz gebracht und voneinander getrennt. Sechs Millionen jüdische Menschen wurden im Krieg vergast, verbrannt, verstümmelt, vergewaltigt und erschlagen. Moniek und Rooshka Breitstein überlebten die Shoah, zeugten ein Kind und wanderten nach Australien aus. Später wurde Lily Brett begeisterte New Yorkerin.

 

Selbstironische Überlegungen

 

In dem autobiografischen Roman Einfach so, mit dem Lily Brett 1999 hierzulande der Durchbruch gelang, ist Esther Zepler eine weitere Alter-Ego-Variation. Esther ist Nachrufredakteurin und liest in ihrer Freizeit Sachbücher über den Holocaust. Sie lebt in Manhattan, ist mit einem warmherzigen Maler verheiratet und hat drei Kinder. Eigentlich passiert in ihrem Leben nichts Außergewöhnliches. Das Besondere in diesem Roman ist vielmehr Esthers Sicht auf ihre Mitmenschen, ihre selbstironischen Überlegungen über das Jüdischsein, über Sexualität, Ängste und Liebe.

 

Die Liebe ist in Einfach so etwas Stabiles, Kraftgebendes: Esther Zepler ist glücklich mit ihrem Mann Sean. Die Verbindung, um die es eigentlich geht, tritt im Gewand älterer Generationen auf. Es geht um die Ehe ihrer Eltern, ums Überleben und um die Frage, wie das Leben und die Seele nach der Shoah weitermachen. Die Passagen über den Holocaust werden dabei mit journalistischer Sachlichkeit erzählt, die Ereignisse der Gegenwart mit komödiantischem Geschick daran gekoppelt. Selten schubst ein Text seine Leserschaft so zwischen den Welten hin und her. Die Erzählerin entlastet damit die Lektüre von zu konzentriertem Schmerz und verblüfft zugleich mit erzählerischer Unerschrockenheit. Es wird gebumst und gefickt. Es werden „riesige Haufen geschissen“. Esthers Vater Edek sagt dazu immer „große Stücke“ oder eher jüdisch gefärbt: „groiße Schtikke“. Lily Brett gilt als die Spezialistin der Intimität, deren Kunst sich in vollem Ausmaß in den amüsanten Figurendialogen zeigt.

 

Die Kraft des Humors

 

Edek Zepler ist die eigentliche Hauptfigur des Romans. Er treibt Esther mit seiner eigenbrötlerischen Ignoranz gegenüber all ihren Ratschlägen und eigenen Nöten in den Wahnsinn, andererseits wünscht sie sich immer, ihn in ihrer Nähe zu haben. Er ist Witwer und hat nun, mit 76, eine aussichtsreiche Bekanntschaft gemacht und beginnt plötzlich, das Leben mehr zu genießen, als seine Tochter es vermag.

 

Der Humor ihres Vaters habe sie gerettet, erzählt Lily Brett oft in Interviews. Mit 99 habe er noch so heftig über Witze von ihr gelacht, dass sie oft fürchtete, er könnte dadurch sterben. Am Ende von Einfach so gibt uns Lily Brett das gleiche Heilmittel, das ihr der Vater zeit seines Lebens verabreicht hatte. Herzhaftes Lachen, trotz aller Lebenstragik.

 

Lily Brett Einfach so

Suhrkamp

Übersetzt von Anne Lösch

446 Seiten, 10 Euro

Das amerikanische Original ist 1994 erschienen.

Die Kolumne wurde zuerst im Büchermagazin (03_2021) veröffentlicht.


Lily Brett wurde 1946 als Lilijahne Breitstein in einem Lager für Displaced Persons in Bayern geboren. Ihre polnisch-jüdischen Eltern hatten das Konzentrationslager Auschwitz überlebt und wanderten nach Australien aus, als Lily zwei war. Mit 19 Jahren arbeitete sie für das australische Rockmagazin Go-Set. Mit dem autobiografischen Roman Einfach so (dt. 1999) gelang ihr der Durchbruch als Schriftstellerin. Heute lebt Lily Brett mit ihrem Mann David Rankin in New York.