Im Jahr 2004 erstaunte und begeisterte das Debüt einer bislang unauffälligen amerikanischen Kunstprofessorin die Literaturkritik. Die Frau des Zeitreisenden ist ein gekonnt komponiertes Gedankenexperiment über eine Liebe, die bis zum Schluss für jedes Stückchen Normalität kämpfen muss.
Eine Rezension von Jeanne Wellnitz
Das Ende ihres Romans habe Audrey Niffenegger zuerst geschrieben, sagt sie in einem Interview. Danach seien ihr immer wieder Szenen erschienen, die sie niederschieb, ohne sie in ihrer Gesamtheit zu planen. Für die Veröffentlichung wurden sie dann noch einmal völlig neu sortiert, was diesen Roman zu einem ungewöhnlichen Gedankenexperiment über die Liebe eines Zeitreisenden macht.
Wie ein Mosaik setzt der Text sich durch die Erzählstimmen der beiden Hauptfiguren, Clare und Henry, zusammen. Die verschiedenen Zeitebenen wirken wie magisch miteinander verknüpft. Die letzte Szene des Romans bildet dabei mit ihrer ziehenden, fast erfroren scheinenden Sehnsucht einen Kontrapunkt zum leidenschaftlichen Kampf um eine Liebe, die sich nur für kurze Zeitabschnitte vollkommen entfalten konnte.
Eingeklemmt zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Henry hat eine rätselhafte Erbkrankheit, die ihm seit seinem fünften Lebensjahr unkontrolliert durch die Zeit reisen lasst. Eine Reise kann wenige Sekunden oder viele Stunden dauern; er landet, immer unbekleidet, hart auf dem Boden, als wäre er vom Himmel geworfen worden, übergibt sich, taumelt, findet kaum zu sich. Das Pendeln zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft macht ihn mürbe und lässt ihn verzweifeln.
Seine Mutter starb früh bei einem Autounfall. Der Vater zerbrach an der Trauer. Ständig reist Henry ungewollt zu dem Unfallereignis zurück und sieht seine Mutter immer wieder sterben. Er saß damals im Auto neben ihr.
Das Dramatische an seinen Zeitreisen ist, dass er nichts an der Kausalität der Ereignisse ändern kann. Er vermag nichts zu verhindern oder zu beeinflussen. Und das, obwohl er alles weiß, auch wann und weshalb er sterben wird.
Bevor er in seinem gegenwärtigen Leben – das linear verläuft und von dem aus er die Zeitreisen unternimmt – mit fast 30 Jahren Clare kennenlernt, versinkt er in Drogen, Schlägereien, Alkohol und Frauengeschichten. Clare hingegen begegnet ihm bereits mit sechs. Er besucht sie aus der Zukunft, in der sie beide längst verheiratet sind. Sie muss bis zu ihrem 20 Lebensjahr ausharren, dann lernt sie den 30-jährigen Henry in der Gegenwart kennen.
Ein unerwarteter Weltbestseller
Die Frau des Zeitreisenden war das Debüt der damals 40-jährigen Kunstprofessorin Audrey Niffenegger. Es führte in den USA im Jahr 2003 die Bestsellerlisten an. Ein Jahr später liebte auch das deutsche Lesepublikum Niffeneggers Erfindungsgabe und Sprachkunst. Der Titel lässt vermuten, es wäre ein Porträt der Ehefrau. Es werden jedoch beide gleichermaßen in all ihren Gedanken, Emotionen, Nöten und Sehnsüchten breit ausgeleuchtet. Sie kommen uns mit ihrer zum Untergang geweihten Liebe äußerst nah. Ihre Qual wird zu unserem Leid.
Doch Clare und Henry begegnen ihrem Schicksal keineswegs mit tränenreicher Dramatik oder überzogenen Bekundungen. Ihr trockener Humor, die frotzelnde Schlagfertigkeit und das sie einende Schwingen auf einer Ebene verhelfen diesem Roman zu einem kitschfreien Dasein. Das, was sie sich am sehnlichsten für ihre Liebe wünschen, ist Normalität.
Die zahlreichen Erzählebenen scheinen auf dem ersten Blick ein kompliziertes Unterfangen. Doch beim Lesen sind sie das nicht, denn alle Fragen klären sich während der Lektüre von allein. Sie füttern die knisternde Spannung, die uns beim Lesen bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht.
Audrey Niffenegger Die Frau des Zeitreisenden
Übersetzt von Brigitte Jakobeit
Fischer Verlag
544 Seiten, 12 Euro
Diese Kolumne wurde überarbeitet und ist zuerst erschienen im Büchermagazin (05_2018).
Audrey Niffenegger lebt als Schriftstellerin und bildende Künstlerin in Chicago. Sie lehrt dort Kunst und Buchgestaltung am College Chicago Center. Zuletzt erschien von ihr in Deutschland der Kurzgeschichtenband Katzen und Gespenster (2017) und der Roman Die Zwillinge von Highgate (2009). Debütiert hat die 1963 geborene Schriftstellerin mit Die Frau des Zeitreisenden im Jahr 2003. Der Liebesroman kam ein Jahr später auf den deutschen Markt und stand mehrere Monate lang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde verfilmt und in mehr als 20 Sprachen übersetzt.