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Das Herrliche und das Schreckliche

Die niederländische Schriftstellerin Connie Palmen verlor nach nur vier gemeinsamen Jahren ihre große Liebe Ischa Meijer. Der bekannte Journalist starb kurz vor der Hochzeit. Zwei Jahre nach seinem Tod ist sie fähig, ihre Liebesgeschichte aufzuschreiben.

Eine Rezension von Jeanne Wellnitz

Das Herrliche und das Schreckliche obwalten in Connie Palmens Leben Seite an Seite. Mit 36 lernt sie den exaltierten Journalisten Ischa Meijer kennen, mit 40 verliert sie ihn an den Tod. Mit ihm erlebte sie grenzenloses Miteinander und ausgelassene Fröhlichkeit. Es war eine symbiotische, ja, zehrende und zugleich nährende Liebe. Meijer starb mit 52 Jahren an Herzversagen.

 

Wie Connie Palmen die Gewalt des Schmerzes ertrug, ihn überlebte? Wir können es nachlesen, sie hat alles aufgeschrieben. Mit spitzen Fingern schlägt man I.M. auf; und fragt sich: Vertrage ich diese Trauer? Sicherlich nicht, ohne selbst Schmerz zu empfinden. Doch wer Connie Palmen bereits durch ihren aktuellen hochgelobten Roman Du sagst es kennengelernt hat, weiß, dass es sich lohnt; weiß, wie gewaltig ihre Sprache ist, wie gründlich ihre Analyse, wie elegant ihre Vermählung von Konjunktiv und direkter Rede. Freud ist ihr Freund. Das autobiografische Schreiben ihre Passion.

 

Wahrheit und Schreiben

 

Also sind ihre Romane real? Wahrheit und Schreiben seien Feinde, sagt sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Autobiografisches Schreiben sei immer auch Fiktion, eine stilistische Wahl. Über diese Spannung zwischen Wahrheit und Fiktion, Journalismus und Schriftstellerei, diskutiert sie gerne mit Ischa Meijer – wie in I.M. nachzulesen – der durch seine Kolumne Der dicke Mann selbst Erlebtes zur Kunst verbiegt. Connie entdeckt darin oft ihre Gedankengänge, die sie eigentlich in ihrem Roman Die Freundschaft verwenden wollte. Die beiden künstlerischen Seelen bewundern und inspirieren einander, sind neidisch aufeinander, sprechen intimste Gedanken aus. Man sieht förmlich die produzierten Texte, die Romane, Kolumnen, Vorträge aus Realität und Fantasie auferstehen. Ein Blick über die Schulter zweier berühmter Schreibender, der sonst selten möglich ist.

 

Im ersten Teil des Romans begleiten wir das Amsterdamer Society-Paar auf ihren Reisen durch Amerika, durch ihren Alltag voll rührender Rituale. Eine sanftmütige Eintönigkeit schwingt mit, immer wieder die gleiche gegenseitige Verzauberung. Aber so zeigt sich die Liebe ja auch oft – in Übertreibungen.

 

Die überneurotische Schriftstellerin

 

Ihr Hang zur symbiotischen Liebe sei eine Spezialität ihres Charakters, eine Schwäche, sagt Connie Palmen im Interview mit der Berliner Zeitung. „Das hat etwas mit Persönlichkeit zu tun. Mit großen Ängsten. Und damit, dass man diese Ängste im Gegenüber erkennt.“ Es ist bewegend, zu lesen, wie sie Ischas Ängste spiegelt, und er ihr gequält lauscht.

 

Die monomane Philosophin hat ihr gesamtes Leben dem Schreiben und dem Lieben geschenkt. „Ich wäre eine überneurotische, besorgte Mutter gewesen.“, sagt sie lakonisch in der Sendung Sternstunde Philosophie. „Jetzt bin ich eine überneurotische, besorgte Schriftstellerin.“

 

Die verbleibenden 30 Seiten des Romans, In Memoriam, sind die zitternde Elegie, die Totenklage über den Verlorenen. Sie zerschlägt die innige Zweisamkeit des ersten Teils. Kerzengerade hält man das Buch in den Händen. „Was ich anderen sagen kann, ist, daß ich in der Hölle lebe“, schreibt Connie Palmens Alter Ego. „An meinem Zustand ist nichts Unklares, nichts, was Fragen aufwirft, verwirrend ist, da ist kein Konflikt und kein Problem. Diese Hölle ist Leben in höchster Klarheit. Trauer ist roh. Ich kann seinen Tod nicht verdauen.“ Dennoch ist zu spüren, dass ihr das Schreiben dieser Zeilen einen Bruchteil des Schmerzes nahm. Und so gehen wir selbst auch seltsam getröstet aus dieser Lektüre hervor.

 

Connie Palmen I.M. Ischa Meijer – In Margine. In Memoriam

Übersetzt von Hanni Ehlers

Diogenes, 400 Seiten, 11,90 Euro

Erschienen im Jahr 1999.

Diese Kolumne wurde zuerst im Büchermagazin (3_2017) veröffentlicht.

 


Connie Palmen (c) Analeen Louwes
Connie Palmen (c) Analeen Louwes

 

Connie Palmen (*1955) studierte in Amsterdam Philosophie und Niederländische Literatur. Ihr Debüt Die Gesetze (dt. 1993) wurde ein Bestseller. Während sie Die Freundschaft (dt. 1996) schrieb, war sie mit dem Journalisten Ischa Meijer liiert. Er starb überraschend 1995. In I.M. Ischa Meijer – In Margine. In Memoriam (dt. 1999) fasste sie ihre Trauer in Worte. Palmen wurde zahlreich ausgezeichnet. Zuletzt für die fiktionale Ted-Hughes-Autobiografie Du sagst es (dt. 2016).