Ein Roman über die Suche nach Glück und Liebe. Zu viel des Guten? Anna Gavalda bekennt im Interview: „Ich habe keine Angst vor Klischees. Alle meine Bücher sind voll davon.“ Einige
schreckt das womöglich ab, andere werden darin Trost und Freude finden.
Eine Rezension von Jeanne Wellnitz
Die Klischees aus Anna Gavaldas Roman Alles Glück kommt nie sind schnell aufgezählt: ein End-Vierziger in der Midlife-Crisis, eine erkaltete Ehe in einer perfekt dekorierten Wohnung und eine neue Liebe, die alles verändern wird. Es ist die Geschichte eines ausgelaugten Workaholics, der die Freude am Leben wiederentdeckt. Ein Ausflug in eine Romanwelt, die offenlegt, was das Finden von Glück behindern oder ermöglichen kann.
Gavalda ist bekannt für den locker-verspielten Duktus ihrer Texte. In diesem Roman ist sie noch einen Schritt weitergegangen. Figurengedanken und Erinnerungen werden ohne Umschweife in erlebter Rede, witzigen Dialogen oder innerem Zwiegespräch wiedergegeben. Die saloppe Ausdrucksweise gibt dem Text eine Art lebendige Mündlichkeit. Es fühlt sich an, als würde ein abwechslungsreicher Film laufen. Sätze und Szenen sprudeln auf die Leserinnen und Rezipienten ein, die Schnitte zwischen den Szenen sind mitunter rasant gesetzt. Fühlen und Denken der Figuren wird dadurch hautnah erlebt.
Spontane Mündlichkeit
Doch wer erzählt hier eigentlich? Die Geschichte beginnt in medias res, die Lesenden befinden sich mitten im Gedankenstrom von Charles Balanda, einem 47-jahrigen Architekten, der sich für die falsche Frau entschieden hat und fast an seiner selbstzerstörerischen Arbeitsauffassung zugrunde geht. Alles Glück kommt nie wirkt wie eine spontane Erzählung ohne System. Schläft Charles ein, bricht die Erzählung ab, erinnert er sich an vergangene Szenen und Ereignisse, oszilliert das Erzählpronomen zwischen „Ich“ und „Er“. Wenn er selbst nicht weitererzählen kann, übernimmt das eine fremde Stimme, ein anonymer Sprecher, der sich oft als sein Über-Ich entpuppt und sich manchmal sogar direkt an die Lesenden wendet.
Der Unterschied zu anderen deprimierten Helden der Popliteratur mag sein, dass Gavaldas Protagonist zwar in eine Identitätskrise schlittert, sich dabei jedoch nie wirklich unfair, unkontrolliert oder kopflos verhält. Obwohl die Autorin sich den Eigenheiten ihres Helden sehr liebevoll widmet, bleiben tieferliegende Konflikte oder Motivationen unbeleuchtet, wodurch er ein wenig an Profil einbüßt. Dafür leben Gavaldas Charaktere über kurz oder lang einen Optimismus, der den Romanen ihre charmante Unbeschwertheit verleiht.
Innere Zerrissenheit
Wer Alles Glück kommt nie vollends genießen möchte, braucht drei Dinge: Die Akzeptanz, dass die Erzählweise absolut gewagt und teilweise verwirrend ist, ein Faible für gelegentliche Theatralik und volles Vertrauen in die Erzählstimme. Denn alle offenen Fragen werden sich – wenn auch verzögert – erschließen. Die vielen kommunikativen Ebenen des Romans ermöglichen dabei die direkte Teilnahme an Charles’ innerem Erleben und scheinen zugleich auch ein Fingerzeig auf seine Zerrissenheit zu sein.
Wenn andere Figuren dem depressiven Helden etwas erzählen, ist diese Geschichte in der Geschichte im Gegensatz zu seinen galoppierenden Gedanken äußerst geordnet, linear, spannend und kunstvoll aufgebaut.
So ist es auch im letzten Teil des Romans. Charles trifft auf Kate. Eine Frau, die ihm durch ihre bloße Anwesenheit neuen Lebensmut schenkt. Ihre Liebe wird sein Glück ausmachen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein Weg, der den Protagonisten lehrt, seinen Tunnelblick aufzugeben, sich von den selbst auferlegten Zwängen und Pflichten zu befreien und der leisen, verschüttgegangenen inneren Stimme zu folgen. Eine Stimme, die so viele zu ignorieren versuchen oder nicht wahrnehmen. Charles dabei zuzuschauen, wie er sich für seine große Liebe mühsam von seinem alten Ich verabschiedet, bereitet Freude. Und davon können wir nie genug haben.
Anna Gavalda Alles Glück kommt nie
Fischer Taschenbuch
608 Seiten, 13 Euro
Erschienen 2008.
Die Kolumne wurde zuerst im Büchermagazin (04_2013) veröffentlicht.
Anna Gavalda wurde 1970 in Paris geboren, studierte Literatur und erzielte mit ihrem ersten Erzählband Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet (dt. 1999) einen Bestsellererfolg – noch zahlreichen Absagen der Verlage. Ihr kleiner Pariser Verlag „Le Dilettante“ feierte mit Ich habe sie geliebt (dt. 2003) und Zusammen ist man weniger allein (dt. 2005) weltweite Erfolge. Alles Glück kommt nie erschien 2008 in Deutschland.